Arbeiter:innenbörsen aufbauen

Ein Neustart für lokale Organisation und Branchen-Syndikalismus.

Einleitung – Der Stadtteil trendet

Lokal organisieren liegt wieder im Trend. In Büchern und auf Vorträgen werden alternative Stadtteilräte, Stadtteilgwerkschaften, Mieter:innengewerkschaften, Kiezkommunen und Solidaritätszentren diskutiert. Auch in Vergesellschaftungs-Debatten, bspw. bei „Deutsche Wohnen Enteignen“ in Berlin taucht das Thema selbstorganisierter, lokaler Organisierung, Verteilung und nicht zuletzt Konfliktlösung immer wieder auf.

Dabei stehen immer wieder die selben Probleme im Raum: Lokal organisieren, schön und gut – aber woher kommt Durchsetzungmacht? Wie verbinden wir die Kämpfe von bspw. Mieter:innen und Konsument:innen mit denen von Beschäftigten? Wie kommen die lokalen Organisationen zu bundesweitem Austausch oder gar Kooperation? Müssen wir für jedes Detailproblem einen Rat gründen? – und viele weitere Fragen.

Auf die FAU wird in diesen Diskussionen selten geschaut – und sie hat sich bis jetzt leider auch wenig eingebracht. Dabei haben wir ein in der Vergangenheit erstaunlich valides Konzept in der Tasche: Die Verbindung von betrieblichen Branchenorganisationen und den historisch so genannten Arbeiter:innenbörsen (im Folgenden Lokalbörse genannt). Gleichzeitig ist dieses gute Konzept heute selbst in der FAU weitgehend in Vergessenheit geraten oder nicht mehr als ein unkonkretes Schlagwort. Mit unseren konkreten Organisationsweisen stehen wir uns oft selbst im Weg. Dabei könnten wir schon jetzt damit vieles errreichen: Auf Ernährungssouveränität und Krisenfestigkeit hinarbeiten, anarchistische Wirtschaftskonzepte greifbar machen, ein gewerkschaftlich-revolutionäres Rückgrat in den Stadtteilen verankern und die gemachten Erfahrungen bundesweit teilen und weiterentwickeln.

Was sollen diese Lokalbörsen sein? Anarchosyndikalistische Organisationen haben immer einen mehrfachen Doppelcharakter. Sie wollen einerseits ein praktisches Werkzeug für die Durchsetzung betrieblicher Ziele und für ein besseres proletarisches Leben im Hier und Heute sein. Gleichzeitig soll mit ihnen auch gesellschaftlicher Wandel abseits des Kapitalismus durchgesetzt werden. Die größte Durchsetzungsmacht sehen die Syndikalist:innen dabei immer noch in der potentiellen Verweigerung der Mehrwertproduktion – kurz dem Streik. Andererseits sind es aber eben nicht nur Abwehr- und Durchsetzungskämpfe, die wir brauchen, wir müssen auch Aufbauen, konstruktiv werden, neue Formen von Arbeit, Solidaritätsstrukturen und Basisdemokratie entwickeln. Dabei kommt es nicht nur auf eine produktive (im Sinne von Güter herstellende) sondern auch auf eine reproduktive (im Sinne von den Mensch, Umwelt und die Gesellschaft (wieder)herstellende) Sphäre an.

Die Betriebs- und Branchenstrukturen bilden im Anarchosyndikalismus die Organisationsformen der abhängig Beschäftigten in ihren Betrieben, also (in Tendenz) in der produktiven Sphäre. Wir nennen diese Strukturen Syndikate, bzw. Branchenföderationen.

Das Leben und auch Gegenmacht ist aber einiges mehr, als „nur“ die Herstellung von Gütern und „nur“ der gesellschaftliche Blick in unserer Rolle als Produzent:innen. In der Lokalbörse kommen deshalb alle revolutionären Arbeiter:innen aus allen Branchen zusammen und organisieren ihre gemeinsamen Bedürfnisse.[1]

Alle revolutionären Arbeiter:innen verschiedenster Branchen und Syndikate an einem Ort bilden die Mitglieder der Lokalbörsen. In Lokalbörsen organisieren wir uns bspw. als Konsument:innen, um Unternehmen durch Boykott unter Druck zu setzen, kollektive Betriebe zu stützen und damit gegenseitige Sicherheit zu verschaffen (wie im Konzept solidarischer Landwirtschaften), eigene Kollektivbetriebe oder Gemeinschaftseigentum (bspw. Energiekooperativen, Wohnraum, Gärten etc.) zu etablieren und zu verwalten. Wir kämpfen also gleichzeitig gegen kapitalistische Institutionen und versuchen unsere Unabhängigkeit durch Selbstorganisation zu erhöhen. In Lokalbörsen organisieren wir aber auch die konkreten ersten Schritte hin zu einer anderen Gesellschaft in anderen Beziehungen: Umverteilung von Geldern, Vermögen, Risiken, gemeinsame Organisation von Sorgearbeiten, Unterstützung beim Kampf gegen Behörden, bei Schicksalsschlägen, etc..

Nicht zuletzt ist es auch der Ort, nicht die Branche oder der Betrieb, an dem wir die Formen unseres gemeinsamen Zusammenlebens verhandeln. Über Behörden, Polizei und Justiz lässt sich schnell wettern, wirkliche, humanistische Alternativen zu etablieren – jenseits von Selbstjustiz und Klientelwirtschaft – heißt lange, intensive Arbeit. Gleichzeitig ist es eine Grundbedingung für gesellschaftliche Umwälzungen, die mehr sein sollen als ein bloßer Fahnenwechsel.

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