Back to Hartz IV? Back to Widerstand!

Da sind wir also wieder – nach keinen zwei Jahren „Bürgergeld“ sind wir wieder bei „Hartz IV“ angelangt. Besonders nachhaltig war die Meilenstein-Reform ja nicht ausgefallen. Ihre Demontage begann bereits früh. Genau genommen, bereits vor offizieller Verabschiedung. Die FDP lieferte ihren Signature-Move mit Bravour ab, nämlich alles zu blockieren, was an sozialpolitisch halbwegs vernünftigen Maßnahmen von den unliebsamen Koalitionspartner:innen angedacht wurde. Schnell folgten die Unkenrufe der üblichen Verdächtigen: Die sogenannte „Initiative für neue soziale Marktwirtschaft“, die Arbeitgeber:innenverbände, die Springerpresse etc. Sie alle beklagten schon im Voraus die schädliche Untätigkeit der doch so bitter notwendigen strafenden, zumindest drohenden Hand von Papa Staat, gegenüber „DEN Arbeitslosen“. Die CDU reihte sich wie zu erwarten eifrig in den Chor ein, die AfD, selbsternannte Anwältin der „kleinen Leute“, sowieso. Und schließlich besann sich die deutsche Sozialdemokratie ihrer bestens gepflegten Tradition (#wer_hat_uns_verraten?), und wollte endlich wieder zurückkehren zur entwürdigenden Drohkulisse von schmerzhaften, existenzgefährdenden Sanktionen.

Die Mär vom „faulen Arbeitslosen“ ging wieder um. Wer sich an „Asozialen“-Hasstiraden dunkelster Zeiten erinnert fühlt – das ist leider kein Zufall, sondern bittere Kontinuität im Selbstbildmythos der vermeintlichen deutschen Leistungsgesellschaft. Während erst kürzlich festgestellt wurde, dass hiesige Milliardär:innen um schlappe 500 Milliarden Euro (!) reicher sind, als bislang angenommen, sorgten sich Politik, Medienlandschaft und gefühlt das halbe Land zum Anfang dieses Jahres, weit mehr um die als verschwenderische und unnütz sozial-romantische ausgemachte Erhöhung des Regelsatzes um ganze 61 Euro pro Monat. Die Sorge schien, es könnten irgendwo Menschen vermeintlich leistungslos am Existenzminimum krebsen, die genauso gut mit 30-40 Stunden Maloche die Woche am Existenzminimum herum krebsen könnten. Dass Totalverweigerung bei an sich erwerbsfähigen Arbeitslosen zwar eine statistische Randerscheinung darstellt, störte die großen Verteidiger:innen der vermeintlichen Leistungsgerechtigkeit herzlich wenig. Der populistische Punkt war gesetzt. Sozialchauvinismus to go für alle, die noch nicht genug davon hatten. Außerdem, irgendwo muss ja das Geld wieder rein geholt werden, das durch die folgenreiche Verkettung von Schuldenbremse, der kreativen Umwidmung von Sondervermögen und dem diesbezüglichen Bundesverfassungsgerichtsurteil plötzlich in Rauch aufgegangen war. Warum dann nicht bei denen sparen, die ohnehin nicht wissen, wie sie am Ende des Geldes über den Rest des Monats kommen sollen? Bei denen, die gesellschaftlich eh bereits in der Versenkung verschwunden sind, weil sie sich das Elend, das wir Gesellschaft nennen, gar nicht mehr leisten können?

Dass Arbeitsministerium und Bundeshaushaltsplanung bereits fest mit den durch Vollsanktionen eingesparten Mittel rechnen – bis zu 170 Millionen Euro sollen so zustande kommen – wirft ein widersprüchliches Licht auf die so vehement geforderte Gesetzesverschärfung. Denn entweder halten verschärfte Sanktionen die vermeintlich „bloß unwilligen“ unter den Erwerbslosen davon ab unliebsame Arbeit zu verweigern – dann ist es aber mindestens gewagt mit festen Summen zu rechnen, welche mittels verhängter Sanktionen eingespart werden sollen. Oder aber, ein gewisser Prozentsatz der Leistungsempfänger:innen kann durch auch noch so harte Sanktionen gar nicht zur Annahme einer unliebsamen Arbeit gebracht werden, selbst wenn ansonsten Mittellosigkeit und Hunger drohen. Dann läge aber der Gedanke nahe, dass reiner Unwille nicht die entscheidende „Motivation“ darstellt. Die Sanktion verpufft also als solche im Sinne einer wirksamen Abschreckung und addiert nur eine zusätzliche soziale Härte zu den meist bereits zuhauf vorliegenden Problemlagen. Wie davon der umsorgte Wettbewerbsvorteil des Wirtschaftsstandorts Deutschland gedeihen soll, bleibt offen. Wie es allerdings um die vermeintlich unantastbare Würde der Menschen in der öffentlichen Debatte bestellt ist, tritt umso klarer hervor.

Es wird endlich Zeit die entwürdigende Erzählung vom „faulen Arbeitslosen“ zu durchbrechen. Erwerbslosigkeit ist kein schickes Hobby. Der Bürgergeldregelsatz kein weiches Kissen sozial-romantischer Dekadenz. Wer von 600 Euro im Monat leben muss, ruht in keiner „sozialen Hängematte“, sondern läuft barfüßig auf den Nagelbrettern fehlender gesellschaftlicher Zugehörigkeit und existenzieller Unsicherheit. Wer nicht weiß, wie sie:er das nächste Paar Schuhe bezahlen soll, oder für so etwas banales wie einen Kühlschrank ein Darlehen aufnehmen muss, braucht weder Drohgebärden noch öffentliches Bashing – sondern Unterstützung und Solidarität. Und alle Schreie nach Lohnabstandsgebot und „Leistung muss sich wieder lohnen“ sind sofortig mit höheren Löhnen zu stopfen und sonst nichts. Denn alle, die in den letzten Monaten öffentlichkeitswirksam beklagten, dass eine aufgestockte Grundsicherung schlecht bezahlte Jobs unattraktiv machen könnten, dachten dabei wenig an die Betroffenen. Sie führten ihre Klage über den angeblich mangelnden Abstand zwischen Mindestlohn und Bürgergeld nur an, um zu verdecken, dass sie vom miesen System genannt Niedriglohnsektor profitieren – und auch in Zukunft gedenken dies zu tun. Selbst und gerade wenn das heißt über die wirtschaftlich am schlechtesten Gestellten in unserer Gesellschaft hinweg zu trampeln.

Die FAU, als klassenkämpferische Basisorganisation, muss die mühsamen Kämpfe der Erwerbslosen für ein würdiges Auskommen, gesellschaftliche Teilhabe und widerständige Selbstorganisation zu den ihrigen machen. Die öffentliche Skandalisierung einer staatlich verordneten Armut bis zum Hunger einerseits, oder der (Wieder-)Einführung des Arbeitszwanges andererseits, kann hierbei nur ein Baustein des notwendigen Einsatzes sein. Versuche solidarischer Umverteilung, wo sie möglich erscheint, wäre ein denkbarer weiterer. Und wir, die wir von Erwerbslosigkeit betroffen oder akut bedroht sind – wir müssen Wege und Mittel finden zusammenzukommen und uns zu organisieren. Unseren Widerstand zu organisieren. Wir mögen nicht streiken können. Wir haben auch keine Traktoren. Und keine Partei singt unser Lied. Nicht wirklich. Aber wir können uns trotzdem wehren. Wir müssen es sogar, denn in dem Konflikt um die Anerkennung unserer Würde wird – wie in anderen ähnlichen Konflikten zurzeit gleichermaßen – verhandelt, wie viel Zivilisiertheit sich die kapitalistischen Demokratien noch leisten wollen. Ein weiterer Abbau ist nicht hinnehmbar.

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