Am 21. Dezember 2023 fand im Roten Salon der Berliner Volksbühne in der Reihe Vergessene Arbeitskämpfe ein Punkabend zum Pierburg-Streik vor 50 Jahren statt.
Sommer 1973, Firma Pierburg, Neuss am Rhein“. So beginnt der Film „Pierburg – ihr Kampf ist unser Kampf“. Er dokumentiert einen Arbeitskampf, der vor 50 Jahren Geschichte geschrieben hat. Über 2000 Frauen haben damals für gleichen Lohn für gleiche Arbeit gestreikt. Ein Großteil waren migrantische Frauen, „Der Kampf von Pierburg und andere Kämpfe sind erste Schritte für den Kampf zum Sozialismus“, erklärte damals die Stimme aus dem Off im Film etwas großsprecherisch. Was der Film aber zeigte, der Arbeitskampf führte zur Selbstermächtigung der Arbeiterinnen. Er zeigt, wie die Frauen gemeinsam lachen, tanzen, aber auch auf Demonstrationen für ihre Rechte eintreten. „Eine Mark mehr“ lautete die einfache Parole, die für die Beschäftigten eine große Bedeutung hatte. Es ging konkret um eine Mark mehr Lohn pro Stunde, aber es ging auch um die Weigerung der Frauen, weiterhin zu akzeptieren, für die gleiche Arbeit weniger Lohn als die Männer zu bekommen. Im Film sind Tafeln eingeblendet, auf denen über die Löhne und Gehälter der Werkschützer informiert wird, die für Ruhe und Ordnung im Betrieb sorgen sollen. Wir sehen auch in mehreren Szenen, wie die Polizei gegen die streikenden Frauen vorgeht, sie in Polizeiautos zerrt. In einer Szene bedroht der Polizeichef von Neuss die Streikenden mit einer Pistole. Der Chef von Pierburg verteidigt die Repression, denn für ihn ist wilder Streik Revolution. Diese Position ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass er schon im Nationalsozialismus als Betriebsführer ausgezeichnet wurde.
Doch die staatliche Repression führt auch zur Solidarisierung von Kolleg*innen aus anderen Betrieben. Da konnte auch das NS-geschulte Management mit ihrer Spaltungslinie nichts mehr ausrichten. Der Personalchef von Pierburg warnt vor „auswärtigen Krawallmachern“. Die Gewerkschaftsvertreter (nur Männer) des DGB hingegen weisen die Vorwürfe zurück und versichern, dass die Streikenden im Einvernehmen mit den Gewerkschaften handeln. Doch bald zeigte sich, was diese Worte wenig Wert sind. Da erklärte der gleiche Gewerkschaftsfunktionär wenig später , dass die streikenden Frauen das Werk verlassen und die einvernehmlichen Verhandlungen zwischen DGB und Vertretern des Unternehmens nicht stören sollen. Hier wird der Riss deutlich zwischen einem sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsfunktionär, der gleich am Beginn seiner Rede betont, wie einig er sich mit der Betriebsleitung ist und den kämpferischen Frauen in den Rücken fällt. Doch die lassen sich davon nicht einschüchtern und hatten Erfolg. Die Lohngruppe 2, die den Niedriglohn für Frauen vorsah, wurde bei Pierburg abgeschafft. Die Stundenlöhne wurden um 65 Pfennig angehoben. Ein Großteil der ausgesperrten Arbeiter*innen mussten wieder eingestellt und vier von fünf Streiktagen bezahlt werden.
Nach Ende des Streiks begann der Rachefeldzug des Pierburg-Managements gegen die Belegschaft. So sollte ein Teil der Produktion an einen anderen Standort verlagert werden, was zu Entlassungen bei der kämpferischen Belegschaft geführt hätte. Das führte auch außerhalb des Betriebs zu einer großen Empörung und Pierburg musste die Pläne fallenlassen. Dafür werden seit Jahren aktive Betriebsräte politisch diffamiert und gekündigt. Auch hier musste das Pierburg-Management vor dem Arbeitsgericht eine Niederlage einstellen. Alle Kündigungsklagen wurden dort zurückgewiesen. Die Betriebsräte konnten so weiter mit ihren Kolleg*innen kämpfen „Die Belegschaft zu disziplinieren ist nicht gelungen“, heißt es in dem Film. Ein DGB-Justitiar erklärte, die Besonderheit des Verfahrens lag darin, dass erstmals Betriebsräte für einen spontanen Streik im Betrieb abgestraft werden sollten.
Spuren eines NS-Kommentators im deutschen Arbeitsrecht
Hier wird auch schon deutlich, warum es wichtig ist, 50 Jahre später an den Pierburg-Streik zu erinnern. Noch immer ist der sogenannte wilde Streik, also der Arbeitskampf, der nicht von einer tariffähigen Gewerkschaft getragen wird, in Deutschland verboten. Das mussten in den letzten Monaten und Jahren die Beschäftigten von Lieferkurierfirmen erfahren, die seit 2021 gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen gestreikt haben. Auch sie waren mit dem Erbe von Karl Heinz Nipperdey konfrontiert. Der ehemalige Kommentator des NS-Gesetzes zur Nationalen Arbeit hat 1952 während eines Arbeitskampfes ein Gutachten erstellt, das bis heute das Streikrecht in Deutschland maßgeblich beeinflusst. Dazu gehört das Verbot des politischen und des verbandsfreien Streiks, also eines Arbeitskampfes ohne gewerkschaftliche Beteiligung. Jetzt sind also auch die Rider*innen, wie sich die Beschäftigen der Lieferdienste nennen, mit den Erbe eines NS-Arbeitsrechtlers konfrontiert. In ihrem Kampf schauen sie auch auf die Kämpfe bei Pierburg, Heinze und vielen anderen Betrieben.